Die Sehnsucht nach dem Paradies

Sommerfrische

9. Juni – 10. August 2007

Kathrin Blome - Tatsuya Higuchi - Hörbelt und Winter - Anna Jermolaewa – Martin Liebscher - Michael Maierhof - Susanna Majuri - Dirk Nickel - Mel O´Callaghan - Manfred Peckl - Diana Rattray – Tatsuya Higuchi – Stephen Cone Weeks - Darius Ziura
Kuratorin: Indra Wussow
       




Blauer Himmel, Schäfchenwolken ziehen geruhsam ihre Bahnen, in sattem Grün der Wiesen spiegelt sich die Sonne. In den Kulissen des Sommers findet die Sehnsucht nach der Besetzung des Paradieses seine Manifestation, wird die Natur zum Erfüllungsort für Träume und Ungelebtes, steht die Welt in der Vergänglichkeit des Sommers still. In der Intensität eines paradiesischen Augenblicks mit all der Trauer des zugleich antizipierten Verlusts, dem Einssein mit der Welt an einem bestimmten Ort oder mit einem bestimmten Menschen deutet eine flüchtige Erfüllung auf ein transzendentes Heilsversprechen, liegt eine Melancholie, die in der unauflösbaren Verlorenheit fußt. 

Die Ausstellung „Sommerfrische“ versammelt 14 Positionen zeitgenössischer Kunst, die diese Vergänglichkeit, die Sehnsucht nach einem irdischen Paradies verhandeln – die Ohnmacht des Menschen vor seinem eigenen Schicksal und die Flucht ins Traumhafte, Rauschhafte – aus der es immer ein Erwachen gibt.

Der Titel „Sommerfrische – Sehnsucht nach dem Paradies“ scheint von einer stark nostalgischen Grundierung auszugehen?

Grundsätzlich kann ich diese These bejahen. Im Zusammenhang mit einem möglicherweise nostalgischen Ansatz war es deshalb interessant zu erfahren, dass der Begriff „Sommerfrische“ aus dem Duden entfernt werden soll. Er sei zu antiquiert für den heutigen Sprachgebrauch. Vielleicht geht es mir deshalb vorrangig um den Umgang mit Geschichte. Der nostalgische Gebrauch des Begriffes berührt dabei nur einen wichtigen Aspekt.

Als Phänomen gehört „Sommerfrische“ doch eher ins 19. Jahrhundert und an den Anfang des 20. Jahrhunderts?

Sommerfrische hatte damals für das an Selbstbewusstsein und Einfluss gewinnende Bürgertum etwas sehr Authentisches. Aber „Frische“ scheint nicht mehr ins 21. Jahrhundert zu passen. Wir sind von einer Künstlichkeit umgeben, die sich für mich nicht mit „Frische“ assoziieren lässt. Unter anderem erwuchs daraus die Idee, diesen Gegensatz darzustellen. Von Erinnerung an Authentizität und der Realität von Künstlichkeit,
die nur noch mit dieser Erinnerung spielt und sie
auf dem Marktplatz der Mimesis benutzt.

Das Bürgertum übernahm vom Adel das Statussymbol „Sommerfrische“. Gleichzeitig war eine neue Epoche installiert, während eine andere Welt allmählich unterging. Tschechows „Kirschgarten“ steht paradigmatisch für diese Entwicklung.

Einige Dramatiker des ausgehenden 19. Jahrhunderts haben diesen Prozess sehr genau beschrieben. Einer von ihnen war eben Tschechow. Dass sie heute so häufig gespielt werden, beweist nur ihre Aktualität auf einer gegenwärtigen Ebene. Für mich sind diese Stücke immer ausgesprochen wichtig und gleichzeitig ein Ideenpool für den kunst:raum in Rantum gewesen.

Korrespondiert der Sehnsuchtsort „Sommerfrische“ demnach mit einer heutigen Untergangserwartung?

Nicht unbedingt. Die Ausstellung verbindet sich eher mit einer Suche nach dem Ursprünglichen, Kreatürlichen, das möglicherweise nur noch im Reservat oder als Idee überlebt hat. Was einmal „Sommerfrische“ war, wird heute Urlaub genannt. Hier auf Sylt sind fast alle Formen davon zu beobachten. Aber von der ursprünglichen Intention ist nur noch wenig geblieben. Andererseits gibt es bereits eine deutliche Gegenbewegung. Man kann beobachten, wie sich das Verhalten vom reinen Erholungszweck weg zu einer Suche nach nicht entfremdeten Arealen entwickelt. Etwas überhöht könnte man sogar von dem Wunsch nach Katharsis sprechen, die sich in der Begegnung mit der Natur einstellen soll. Ein Wunsch, der meiner Meinung nach an den Zuständen scheitern muss. Insofern spielt Untergangserwartung doch eine Rolle.

Inwiefern wird diese Konstellation in den Arbeiten der eingeladenen Künstler sichtbar?

Beispielsweise in der Arbeit der russischen Künstlerin Anna Jermolaewa. Sie platziert Figuren der Spezies „Tele-Tubby“ in einen virtuellen Raum, dessen banal und harmlos anmutende Bedingungen sie sich anverwandeln, um sich in aggressive Monster zu verwandeln, in Bewohner der Hölle, nicht des vielleicht erwarteten Paradieses, so wie ich die Vorgänge in ihrem Video „go...go...go“ interpretiere. Eine ebenso starke wie bedrohliche Metapher. Spielzeugfiguren agieren in einem grotesken Zukunftslabor, das nicht ausschließlich auf ein Diesseits zu verweisen scheint.

Also die Antwort auf das Paradox im Jenseitigen suchen? Finden? Im Metaphysischen, Überirdischen?

Unser Verhältnis zur unbezähmbaren Natur ist paradox. Die Paradoxa finden sich folglich in der Realität. Mir fallen sofort Indoor-Skihallen ein oder Dschungelareale in ehemaligen Luftschiffwerften. So meint der Mensch sich dem Drama entziehen zu können. Eine Flucht ins Künstliche, das die Natur vergessen machen soll.

In der schönen, neuen Welt wird die Sommerfrische (ergo die Idee „zurück in die Natur“) nur noch als Thema der Kunst weiterexistieren?

Tatsuya Higuchi entwirft mit seinen Himmeln die Vision individueller Bewältigung und ermutigt sich wie auch den Betrachter, nach dem eigenen Himmel zu fahnden, sich einen eigenen Himmel zu erschaffen. Natürlich muss man diese Arbeit im Kontext der japanischen Situation sehen. Kaum anderswo ist die Zuspitzung des irdischen und menschlichen Aufeinandergeworfenseins so anschaulich zu erfahren wie in Japan. Über diesem Labor existieren noch himmlische Möglichkeiten. Doch das ist natürlich nicht nur Thema der Kunst oder ein Feld, das der Kunst überlassen bleibt. Die Kunst kann hier nur marginale Dienste leisten.

Wenn die Ressource Natur aufgebraucht ist, muss also wenigstens der Künstler einspringen und sie „künstlich“ wiedererschaffen?

Wie ich schon sagte, besteht diese Gefahr durchaus, ist sie zum Teil bereits Realität. Aber nicht der Künstler ist hier beauftragt, sondern der Mensch. Der Künstler kann nur sehr subjektiv seinen Fundus darstellen oder anbieten. Dieser reicht im kunst:raum von Darius Ziura, der mit seinen Fotografien zu Kindheit, Jugend und Unschuld zurückkehrt bis beispielsweise zu einem Manfred Peckl, der aus zerschnittenen Landkarten, aus den vorhandenen Meeren, Ebenen, Gebirgen und Städten immer neue Welten entwirft, phantastische Traumlandschaften, wo ein Meer zum Himmel werden kann. Wenn darin keine Hoffnung liegt!