Prof. Dr. Klaus Schwabe

Stele

Skulptur aus Stein Zunächst einmal erreicht der Neuankömmling Rantum auf Sylt von Norden her, die Straße führt durch gezähmte Dünenlandschaft, die von Wegen und Holzstegen durchzogen ist, im Winter menschenleere Barriere vor der Nordsee, im Sommer bunt und lebhaft bevölkerte Brücke zum Meer. Links die Abfahrt zum Hafen von Rantum, zur Wattseite, zum Rantumbecken, Annäherung an das Gelände der Sylt-Quelle, den Raum, der seit dem Jahr 2000 auch als kunst:raum sylt quelle fungiert und funktioniert. Dort wieder ein Holzsteg, auf dem man sich nun aus südlicher Richtung auf das Quellenhaus, das die Galerie beherbergt, zu bewegt. Schon aus der Entfernung muss der Besucher des Kontrastes gewahr werden, den die Architektur des Ensembles aus Quellenhaus und Fabrikgebäude zur natürlichen Umgebung der Insel herstellt. Metall hält Fronten aus Glas, gläserne Flächen verbinden metallen lineare Strukturen. Nach Norden hin, dem Rantumbecken zugewandt, öffnet sich das Gelände als Kunst-Außenraum, der zu artistischer Besiedelung bereitgehalten wird.

Doch ist da rechter Hand des südlichen Steges ein Detail, welches die so wuchtige wie gleichzeitig filigrane, aber im Ganzen homogene Komposition der Bauten zu stören scheint, das sich nicht ins Bild fügen will und dennoch das Areal durch beharrliche Anwesenheit besetzt.

Gleich neben dem Eingang zum Quellenhaus wird dem Besucher eine etwas über einen Meter hohe, grob behauene Stele auffallen, deren Material im Kontrast zu den Materialien steht, die für den Bau der Anlage hauptsächlich genutzt worden sind. In der Achse leicht versetzt zu den lotrechten Vertikalstreben der Stahlkonstruktion des Quellenhauses scheint der Stein schon lange an diesem Ort zu stehen, länger vielleicht als es die Gebäude der Sylt-Quelle gibt. Möglicherweise hatte man den Stein dort hinterlassen, um die Quellenmarkierung anzuzeigen, zu markieren, wo Wasser zu erschließen wäre. Später hatte man den Plan dann tatsächlich umgesetzt und schließlich war die Sylt-Quelle mit all ihren Folgeinstitutionen entstanden, vielleicht erst Jahrhunderte nachdem die Stele in die unberührte Landschaft gesetzt worden war. Womöglich sind derlei Spekulationen sogar angestellt worden, waren ins Heidekraut geschossen, oder in die Gewächse, Gräser, die sich rings um den Stein vehement behaupten, ein dort seltsam archaisch anmutendes Biotop in dessen Mittelpunkt die Stele platziert worden war. Jenes Material, aus dem der Stein gehauen wurde, findet sich jedoch auf Sylt nicht. Und die Stele ist später hinzugefügt worden, steht auf einem Fundament, das nachträglich gegossen langsam überwuchert wird.
 
Also täuscht der Anschein, der erste oder zweite Gedanke, die Spekulation? Die Stele jedenfalls ist aus Löbejüner Granit gehauen, der in einem Steinbruch nahe Bernburg im Sachsen-Anhaltinischen abgebaut wird und in jenem Landstrich oft verwendet und bearbeitet worden ist.

Der Besucher hat am Eingang des Quellenhauses die Skulptur »Stele« des Leipziger Bildhauers, Malers und Grafikers Klaus Schwabe vor sich, die an diesem Platz im Jahr 2000 anlässlich des ersten großen Kunstfestivals „Deutsche Befindlichkeiten“ installiert wurde. Insofern hat also Klaus Schwabe im Jahr 2000 seine nichtanwesende Anwesenheit am Quellenhaus in Rantum markiert.

Der 1939 in Thüringen geborene Klaus Schwabe trat in den sechziger Jahren mit ersten wichtigen Arbeiten an die Öffentlichkeit. Seit dem spiegelt sein Werk die zahlreichen Stationen der Ausbildung und Ausprägung, die Schwabe durchschritten hat. Der Lehre als Keramikmodelleur folgte ein erstes Studium an der Fachschule für angewandte Kunst in Leipzig und diesem das Studium der Bildhauerei und Malerei an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Im Anschluss an sein Diplom ließ er sich in Leipzig nieder und wurde als Künstler bald im öffentlichen Raum der Stadt durch seine Arbeiten sichtbar.

(Von 1969 bis 1993 war er außerdem in verschiedenen Positionen als Hochschullehrer tätig, am Höhepunkt seiner Lehrtätigkeit hatte er den Lehrstuhl für Bildhauerei an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig inne.)

Bis Mitte der neunziger Jahre aber nahm die Bildhauerei deutlich den Schwerpunkt seiner künstlerischen Äußerungen ein, wenngleich Malerei und Grafik dabei immer parallel von Schwabe weiterentwickelt wurden, bis sie ab 1994 ins Zentrum seiner Arbeit rückten. Bis dahin setzt er sich immer wieder intensiv mit seinem Zugang zum öffentlichen Raum auseinander, dem er optische, haptische wie geistige Reize hinzufügen wollte, den er in den Dialog mit der Skulptur, einer jeweiligen Arbeit stellte. Manfred Heirler schreibt 1984, Klaus Schwabe gehe es immer um Subjekt-Objekt-Beziehungen, um die großen Menschheitsfragen oder die individuellen Probleme und Erscheinungen für das Leben.

Mit Rantum, dem kunst:aum sylt quelle gesellte sich 2000 ein neuer Ort, ein Raum im hohen Norden Deutschlands, zu den zahlreichen Plätzen, die bereits einen Eingriff Schwabes, seine skulpturale Annexion zu verzeichnen hatten. In Rantum markiert die Aufstellung der Stele deshalb auch den Zeitpunkt, an dem der kunst:raum seine Annexion des Geländes begonnen hat.

Schwabe gibt 1995 zum Vorgang des Inbesitznehmens in mehreren Gesprächen Auskunft:

„Kunst ist Raummarkierung, das heißt Antwort auf die Frage, in welcher Form und wie beherrsche, markiere, annektiere ich den Raum. Das Temperament ist dafür nicht entscheidend, es bestimmt nicht die Art, sondern nur die Weise der Annexion.

Mittel machen den Stil. Welche Verformungsverfahren man für sich entdeckt, das bestimmt den Stil.

Steinsetzungen sind seit frühesten Menschheitstagen angewandte Markierungen für die nichtanwesende Anwesenheit des Menschen.“

Die Resultate dieses Ansatzes sind mittlerweile zu integralen Bestandteilen von Landschaften wie Städten geworden, reichen von der monumentalen Großplastik bis eben hin zur äußerst reduzierten Form der Stele, wie sie in Rantum zu finden ist.

Wenn man nun erneut den erwähnten möglichen Spekulationen im Sinne Klaus Schwabes nachgeht, muss man zu dem Schluss kommen, dass er natürlich den Ort des Wassers markiert hat, das nicht aus dem Stein bricht, dass aber durch Schwabes Stein aus der Spekulation ein weiterer Mythos vom Wasser und von der Kunst wachsen könnte.