von Feridun Zaimoglu

Schicksalhafte Inseln - gegensätzliche Inselerfahrungen


Auf die Unschuld hat sie, die von vielen Dingen Erstaunte, wenig gegeben. Im Bett mit einem anderen Mann muß sie an mich denken, auch wenn sie für eine Weile an einem fremden Körper festhält, sie legt im Geiste mein Gesicht wie eine Maske auf das des Mannes in ihren Armen. Auf karierten halben Seiten schreibt sie auf, wie sehr es sie verstimmt, daß ich aus ihrem Leben verschwunden bin. Sie steckt sie in einen cremefarbenen Umschlag, und meist muß ich Nachporto bezahlen. In Ihrem letzten Brief bat sie mich darum, sie und einige wenige Gepäckstücke auf die Insel zu fahren. Dort wartet ihr neuer Liebhaber, ein alter verquollener Dichterakademiker, dem sie, wie sie mir verriet, nach dem zweiten Glas Rotwein verfiel. Ich habe mich schwer getan mit diesem letzten Liebesakt, den sie ohne Rücksichten einforderte. Und doch fuhr ich vor dem Backsteinhaus ihrer Eltern vor, und überließ ihr das Steuer. Eine halbe Stunde lang haben wir einander versichert, wie sehr wir zufrieden sind mit dem neuen prächtigen Leben, das wir führen. Sie ist ehrlich, ich lüge. Das Sommerlicht fällt auf ihr frisch blondiertes Haar, einige Strähnen sind auf Kontrast getönt. Die Schokolade ist in der Plastiktüte geschmolzen, ich kurbele das Seitenfenster herunter und halte die Tafel in den Fahrtwind. Wir fahren durch eine Kleinstadt, sie drosselt das Tempo, eine Frau in einer Steppjacke verfolgt uns mit einem bösen Blick: es ist zwar nicht vorgekommen, aber es könnte ja sein, daß ein Ortsfremder etwas zurück läßt, was nicht hierher gehört.

- Du kannst bestimmt noch bleiben, sagt sie, du mußt nicht gleich wegfahren.

- Ich setz' dich ab, und das war's. Wir haben eine Absprache.

- Ich darf dir keine Briefe mehr schreiben...

- Genau, sage ich, ich bin raus aus dem Spiel.

- Wie du dich anhörst, sagt sie, dann kriegst du eben keine Post von mir.

Die Zwergkaninchen im Käfig auf dem Rücksitz spielen verrückt. Das Weibchen wühlt sich, die zuckenden Nasenschlitze tief gelegt, durch die Streu, und klopft Alarm. Das Männchen hat sich der Länge nach auf die Flanke gebettet. Wenn das Auto über Splitt oder Unebenheiten des Straßenbelags holpert wechseln die Tiere auf Übersprungshandlungen: sie lecken und rupfen an ihren Vorderpfoten. Der Kontrollliebe ihrer Herrin und Pflegerin sind sie ausgesetzt wie das Menschwerk den ankommenden Wassermassen. Aus den Augenwinkeln sehe ich das Hinweisschild für den Autozug vom Festland auf die Insel. Ich bin die Begleitperson einer verliebten Frau, ich sitze und staune, es kommt mir nicht merkwürdig vor, daß ich die Tafel Schokolade im Fensterspalt fixiere, und wie immer, wenn mich der Liebeshunger überkommt, atme ich flach und rühre mich nicht, bald habe ich sie abgegeben, bald ist sie mich los.

- Was ist? Sagt sie.

- Ich bin nicht ganz schwindelfrei, sage ich.

- Ja und?

- Wenn wir auf den Autozug auffahren... wie lange dauert denn die Fahrt?
- Na ja, eine knappe Dreiviertelstunde, sagt sie, es wird dich nicht umbringen. Wir fahren ja nicht Karussell!

- Du hast gut reden, sage ich, ich kann nichts dafür.

- Natürlich nicht. Du und deine Phobien. Weißt du, daß es eine Menge Sachen gibt, die du nicht ausstehen kannst? Laute Musik, Menschen, die sich bei der Begrüßung küssen, Touristen, Schmuck, Hitze, ein Frühstück ohne Kaffee und Zeitung. Du kannst Watte nicht anfassen, genauso wie du es nicht ausstehen konntest, wenn ich mich durch den Nylonstrumpf am Bein gekratzt habe.

- Du mußt dir keine Gedanken darum machen. Nicht mehr.

- Idiot, sagt sie und blickt geradeaus. Die Zornschrunde im harten Gesicht, das Ziel über Kimme und Korn vor den Augen, ein Blick, der den Spiegel trübt, ein Blick, der verbannt und erzieht. Die Miniaturgirlande am Rückspiegel wippt vor und zurück, ich rieche den Geruch rotter Algen, das Meer ist nicht weit. Sie hat sich verhärtet, ihre Schultern bilden eine harte Kontur. Ich wollte, ich könne ihr sagen, daß sie sich auf mich stützen kann, daß meiner Hände Spiel auf ihrer nackten Haut sie erhitzte wie in früheren Tagen. Nur ein Schritt bis zum Glück, nur zwei Wimpernschläge bis zur Erlösung. Nur eine Mundvoll Worte zwischen ihr und mir, ein Trennstrich am falschen Platz. Ich wollte, ich könnte sie vom harten Starren abhalten.

- Hör mal, sagt sie, ich hab's mir anders überlegt. Du setzt mich am Zug ab und fährst wieder zurück. Das hat alles keinen Sinn.

- Wie du meinst, sage ich.

- Du bringst mir kein Glück, sagt sie.

Wenn ein Körper in andere Hände übergeht, ist das Glück? Dieser andere Mann wird sie zudecken, wenn sie im Schlaf friert, er wird seine Lippen auf ihre Ohrmuschel drücken und ihre Locken küssen.

Nicht mehr lange, und wir sind am Ziel.